Advocacy braucht einen langen Atem

Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. (Sprüche 31,8)

Advocacy ist der Einsatz für die Themen und Anliegen der Partnerkirchen, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Es geht um die Durchsetzung des Anspruchs auf ein gutes Leben für Alle.

„Die Kirchen müssen dabei helfen, die Entscheidungen, die täglich getroffen werden müssen, um Missbrauch zu beenden und Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, wirtschaftliche Gerechtigkeit, Einheit und Frieden zu stärken, bewusst zu machen‘. Aus ihrer Verortung im alltäglichen Leben gewinnen die Ortskirchen sowohl Legitimität als auch Motivation im Kampf für Gerechtigkeit und Frieden.“ (Appell der ÖRK-Dekade zur Überwindung von Gewalt)

Strukturen, Akteure und Handlungsweisen sichtbar machen

Advocacy hat eine starke politische und auch rechtliche Komponente. Es geht um internationale Verträge, Menschenrechte, UN-Nachhaltigkeitsziele oder auch Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation. Dabei werden Zusammenhänge aufgezeigt zwischen „unserem“ Wirtschafts- und Politikhandeln auf der einen Seite und Verletzungen von Grundrechten oder Umweltzerstörung in einem Partnerland. Es geht um die Sichtbarmachung der Strukturen, Akteure und Handlungsweisen, die Entwicklungschancen nehmen und Konflikte sowie Armut verstetigen oder erst erzeugen.

Im Auftrag der Partnerkirchen (Konsultation von 2015) werden relevante Advocacy-Themen an Politik und Wirtschaft adressiert, durch Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung geschärft und in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Netzwerken bearbeitet.

Das ELM setzt sich über die Handy-Aktion Niedersachsen dafür ein, dass die massiven sozialen und ökologischen Schäden unseres Technikkonsums sichtbar werden. Dazu gehören Kinderarbeit und Gewalt in Minen im Kongo sowie Vertreibung von Indigenen durch Bergbau in Brasilien. Wir fordern verbindliche ökologische und soziale Standards für Unternehmen und ein wirksames Lieferkettengesetz.

Nothing about us without us is for us

Advocacy im entwicklungspolitischen Diskurs ist keine passive Fürsprache sondern auch Befähigung. Zunächst ist es unsere Aufgabe, zuzuhören und Räume zu schaffen. Unsere Partner sind selbst die Protagonisten, erzählen ihre Geschichte, gemeinsam mit Ihnen stehen wir für ein Leben in Würde ein.

Verteidigung von Menschenrechten bedeutet auch Benennung von Menschenrechtsverletzungen. Politische Akteure, Institutionen, Unternehmen, aber auch Strukturen und Systeme können Ungerechtigkeit verursachen, Abhängigkeit schaffen und Ungleichheit verschärfen.

Die Kirchen müssen sich ihrer weltweiten Verantwortung für die Armen, Marginalisierten und Verlierer*innen eines ungerechten und Ungleichheit verschärfenden Wirtschaftssystems bewusst sein. Als Maßstab kirchlichen Handelns in weltweiter Solidarität dient die aus der lateinamerikanischen Befreiungstheologie stammende Formel der „Option für die Armen“.

Das ELM hat sich gemeinsam mit Partner*innen aus Indien über politische Gespräche in Berlin dafür eingesetzt, dass kritische Fragen zu Religionsfreiheit und Rechten von Minderheiten in Indien von der Bundesregierung im Universal Periodic Review des UN Menschenrechtsrates eingebracht worden sind.

Risiko für lokale Partner

Mitunter ist eine Abwägung notwendig zwischen wirksamer Öffentlichkeitsarbeit für Themen und Anliegen einerseits und dem Schutz der Betroffenen vor möglicherweise drohenden Repressionen andererseits. Diese reichen von erschwertem Zugang zu Visa über die Zurückhaltung bereits zugesagter Mittel für lokale Projekte bis hin zu Folter, Gefängnis und Bedrohung der Familie. Kontakte ins Ausland in Verbindung mit Menschenrechtsarbeit oder Regierungskritik werden zunehmend kritisch beäugt. In vielen Partnerländern sind in den letzten Jahren strenge Auflagen für zivilgesellschaftliche Organisationen und international vernetzte Akteure erlassen worden, zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume werden zunehmend eingeschränkt („shrinking space“).

Advocacy-Arbeit bezieht sich zumeist auf Teilprozesse größerer Problemzusammenhänge die nicht in Gänze bearbeitet oder gar gelöst werden können. Ein langer Atem ist ebenso erforderlich wie ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz. Auch hier gilt es, offen mit den Partnern über Möglichkeiten und Grenzen von Advocacy-Arbeit zu kommunizieren, dabei aber auch kleine Schritte als Erfolge zu verbuchen und gleichzeitig die großen Fragen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Das ELM unterstützt die Arbeit des Indigenenmissionsrates COMIN in Brasilien und setzt sich für die Rechte Indigener Völker ein. Eine Forderung ist die Ratifizierung und Umsetzung der Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz Eingeborener und in Stämmen lebender Völker durch die Bundesrepublik. Nach jahrelangen Versuchen scheint es 2021 endlich soweit zu sein.  Dazu haben Begegnungsreisen des COMIN mit Vertretern Indigener Völker in Deutschland beigetragen.

Frieden konkret

Der Sitz von „Rheinmetall Waffe Munition“ in Unterlüß ist breitflächig umzäunt und mit Sicherheitsanlagen versehen. Das „Werk Neulüß“ ist spezialisiert auf die Entwicklung und Produktion von großkalibrigen Waffenanlagen und Munition. Dazu zählen beispielsweise die Waffenanlage für den Leopard-2-Panzer. Mit einem 50 Quadratkilometer großen „Kompetenzzentrum für Forschung und Entwicklung“ verfügt Rheinmetall über ein riesiges privates Testgebiet in Unterlüß für Erprobungen aller Art.

Recherchen zufolge hat Rheinmetall trotz eines Exportverbots über Tochterunternehmen und Kooperationen in Südafrika und Italien Rüstungsgüter an Saudi-Arabien geliefert. Leopard-2-Panzer „made in Germany“ wurden von der Türkei im Norden Syriens gegen kurdische Streitkräfte eingesetzt.

Mehr Waffen führen nicht zu mehr Frieden, sondern zu mehr Konflikten. Deshalb setzen wir Zeichen gegen immer weiter steigende Rüstungsexporte und Exporte von Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete. Auch Waffenexporte aus Deutschland tragen zu humanitären Katastrophen bei, wie jüngst im Jemen. Ursachen von Flucht und Vertreibung werden hier nicht bekämpft, sondern verschärft (Prälat Martin Dutzmann, Vorstellung Rüstungsexportbericht 2017).

Das ELM beteiligt sich gemeinsam mit anderen friedenspolitischen Initiativen an Ostermärschen und Pilgerwegen des Friedens. Auch am Standort Unterlüß des Rüstungskonzerne „Rheinmetall“ finden solche Pilgerwege und Demonstrationen für zivile und gegen militärische Konfliktlösungen statt.

Tobias Schäfer-Sell