Schulhefte gegen Vorurteile
Wider die Stereotype, für Respekt
„Benimm dich nicht wie ein Indio!“, schimpft die Mutter mit ihrem Jungen, der wild durch die Wohnung tobt. „Wilde“, das ist nur eins der Vorurteile, die viele Menschen in Lateinamerika verinnerlicht haben, wenn sie an „Indios“ denken. Dazu gesellt sich das Gerede vom „faulen Indio“, der in seiner Hängematte liegt, statt wie die weißen Bauern auf dem Feld zu schuften. „Primitiv“ — eine andere Assoziation. Vor den Augen entsteht das Bild von Menschen mit Körperbemalung und Federschmuck, die mit Pfeil und Bogen oder Blasrohr bewaffnet halbnackt durch den Urwald streifen.
Körner von Wahrheit stecken in vielen Vorurteilen. Für besondere Anlässe „schminken“ sich Indigene mit Gesichts- oder Körperbemalung und dem für ihr jeweiliges Volk typischen Kopfschmuck. So wie bei uns Make-up verbreitet ist. Wie zum Schützenfest die traditionellen Uniformen angelegt werden oder zum Besuch der Oper der Frack.
Es gibt keine Indianer
Es ist gut, genau hinzuschauen und hinzuhören. Von „Indios“ (oder auf Deutsch „Indianern“) zu sprechen, ist inhaltlich falsch und zudem zu pauschal. Kolumbus meinte, er wäre in Indien angekommen — deshalb nannte er die Menschen, die er traf, „Indios“. Um diesen Irrtum nicht sprachlich fortzuführen, sollten wir besser von „Indigenen“ sprechen, das bedeutet „Eingeborene“. Aber es ist auch zu pauschal, „die Indigenen“ einfach in einen Topf zu werfen. Allein in Brasilien leben über 200 indigene Völker mit verschiedenen Sprachen und einer je eigenen Kultur. „Die Europäer*innen“ sind auch nicht einheitlich — zwischen Deutschen, Griechen und Finnen gibt es viele Unterschiede in Sprache und Kultur. So auch mit den Indigenen — die Apurinã leben anders als die Guarani und diese wieder anders als die Jamamadi Deni, usw.
Auf Augenhöhe mit Indigenen
Der Indigenenmissionsrat COMIN der Ev. Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien steht in Verbindung mit mehreren indigenen Völkern. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des COMIN sprechen mit diesen über ihr Leben, ihre Bedürfnisse. Sie haben einen differenzierten und respektvollen Blick auf Indigene gelernt.
Einmal im Jahr steht in allen öffentlichen Schulen Brasiliens das Thema „Indigene“ auf dem Lehrplan. Es gibt dafür aber kaum geeignetes didaktisches Material. Damit die Lehrkräfte den Kindern nicht einfach nur die gängigen Stereotype über Indigene vermitteln, gibt der COMIN jedes Jahr Materialhefte heraus. Diese werden in Zusammenarbeit mit Indigenen erstellt — diese stellen sich selbst vor, so wie sie gesehen werden wollen. Mit Fotos und Geschichten über ihren Alltag und über die Herausforderungen, vor denen sie stehen. Sie erzählen von ihren Traditionen und Vorlieben. In einem Jahr stellt sich das Volk der Apurinã vor. Dann wieder ein anderes Volk. Oder es wird (wie im Jahr 2021) die Lage von Indigenen an den Universitäten Brasiliens beschrieben — von indigenen Studierenden oder Hochschulabsolvent*innen selbst. Immer aber geht es darum, dass Indigene selbst zu Wort kommen.
Das ELM unterstützt das Vorhaben des COMIN, über diese Materialhefte für Schulen dazu beizutragen, dass in der brasilianischen Gesellschaft ein neues Bild von Indigenen entsteht. Damit sie in ihrer Vielfalt wahrgenommen werden und ihnen mit Respekt begegnet wird.
Kurt Herrera