Rassismus mutig entgegentreten

Erkenntnisse aus einem Freiwilligendienst in Südafrika

Mein Freiwilligendienst mit dem ELM in Johannesburg/Südafrika beginnt im August 2019. Mittelpunkt ist meine Einsatzstelle: Drama for Life. Drama for Life ist ein Postgraduate Department an der University of Witwatersrand, das theaterpädagogische Studiengänge anbietet. Gleichzeitig leistet der Studiengang viel Aufklärungsarbeit zu kritischen Themen wie beispielsweise HIV und Aids in Communities. Ich habe meine Einsatzstelle als einen inspirierenden und bunten Ort der Begegnungen erlebt, der immer von Respekt und Offenheit geprägt war. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, Teil einer großen „Familie“ zu sein, die füreinander einsteht und war damit wohl an einem ganz besonderen Ort gelandet. Und trotzdem frage ich mich oft, welche Rolle ich, als weiße Europäerin, bewusst oder unbewusst in Südafrika eingenommen habe.

Vorurteile und Stereotype im Gepäck

Vor unserer Abreise aus Deutschland haben meine Mitfreiwilligen und ich uns intensiv mit der Geschichte Südafrikas – über den Kolonialismus bis hin zur Apartheid – auseinandergesetzt.  Wir wurden für Rassismus sensibilisiert. Und dennoch hatten wir alle unsere eigenen Vorurteile und Stereotypen im Gepäck. Wir sind in Deutschland mit rassistischen Strukturen aufgewachsen. Das ist dementsprechend nicht einfach so „abzuschütteln“. Eines war mir von Anfang an klar: Sich als weiße Deutsche nicht rassistisch zu verhalten, ist unmöglich. Nicht, weil ich es mir nicht fest vorgenommen hätte, sondern weil viele, gerade unbewusste Handlungen und Aussagen oft rassistisch sind.

Positiver Rassismus

An meinem ersten „richtigen“ Tag in Johannesburg wurde ich gemeinsam mit meinen Mitfreiwilligen zu einer Farewell Party der ehemaligen Freiwilligen eingeladen, die sich zu dem Zeitpunkt noch in ihrer Einsatzstelle in Hillbrow, einem Stadtteil von Johannesburg, befunden haben. Viele ihrer Freunde (die später auch zu meinen Freunden wurden) waren Teil einer Tanzgruppe und faszinierten an diesem Abend wirklich mit ihrem Talent. Meine Aussage dazu war: „Wow, die können ja wirklich viel besser tanzen als wir.“ Was ich wohl eigentlich meinte: Schwarze Menschen können besser tanzen als weiße. Und da fing es schon an. Ich habe ganz selbstverständlich das Talent, tanzen zu können, auf ihre Herkunft zurückgeführt, nicht aber auf ihr ganz persönliches Talent, wonach eben manche Menschen gut tanzen können, andere wiederum nicht. Das nennt sich positiver Rassismus. Klingt erstmal gut, aber das ist Rassismus nie.

Ich kann Rassismus nicht nachempfinden

Jeden Tag bin ich etwa 30 Minuten von meiner Wohnung zu meiner Einsatzstelle an der Wits University gelaufen, und damit war ich morgens natürlich nicht die Einzige, die auf dem Weg zur Arbeit war. Durch meine Hautfarbe habe ich in diesen Teilen der Stadt viel Aufmerksamkeit erregt, was für mich oft ein unangenehmes und vor allem ein Gefühl von „anders sein“ hervorgerufen hat. Ich habe manchmal gedacht: „So muss es sich teilweise für Schwarze Menschen in Deutschland anfühlen.“ Im Nachhinein ein irrsinniger Vergleich. Mir wurden (zumindest laut meinen Erfahrungen) überwiegend positive Attribute zugeschrieben, auch wenn nicht jede Begegnung positiv war. Das geht Schwarzen Menschen (nicht nur in Deutschland oder Südafrika) sicherlich anders. Ich kann Rassismus nicht nachempfinden, denn Rassismus ist ein System, das von weißen Menschen für ihren Vorteil konstruiert wurde. Rassismus gegen weiße Menschen gibt es also nicht.

Absichtslos und doch rassistisch

Das ist nur eine kleine Auswahl von zahlreichen Erlebnissen, in denen ich mich so verhalten habe, dass ich den Rassismus verstärkt habe. Erst einige Wochen später ist mir das aufgefallen – mit genügend Abstand – obwohl ich doch genau das vermeiden wollte. Was ich damit sagen will: wir haben oft keine böse Intention, wenn wir Menschen mit anderer Herkunft begegnen. Und die Frage „Wo kommst du denn wirklich her?“ wird vielleicht nur aus Interesse gestellt. Aber auch hier fängt Rassismus an. Es gibt nicht mehr die Unterteilung in die „bösen Rassistinnen und Rassisten“ und die, die es nicht sind. Wir sind in Deutschland mit rassistischen Denkmustern aufgewachsen und der einzige Weg, diese aufzubrechen, ist meiner Meinung nach der Weg der Konfrontation. Dazu gehört, auf rassistische Äußerungen oder Handeln bewusst hinzuweisen und unangenehme Diskussionen nicht zu scheuen, sondern zu führen, selbst mit Freundinnen, Freunden und Familie.

Schwer und anstrengend aber notwendig

Vorurteile und Stereotype gehören zu uns, um uns abzugrenzen und dadurch unsere eigene Identität zu entwickeln. Außerdem helfen unserem Gehirn solche „Schubladen“, Informationen zu verarbeiten und zu vereinfachen. Und dennoch ist es meiner Meinung nach wichtig, eine eigene Bereitschaft zu entwickeln, uns diese Gedanken bewusst zu machen, um dann gegenzusteuern und zu reflektieren. Das ist schwer und oft anstrengend, keine Frage. Aber wenn wir kulturellen und strukturellen Rassismus abbauen wollen, dann müssen wir bei uns selbst anfangen. Dies soll kein Appell sein, ganz im Gegenteil: eher die Ermutigung, eine rassismuskritische Haltung anzunehmen und sie auch zu formulieren.

Malin Burlatis

In diesem Text werden die Begriffe Schwarz und weiß verwendet. Der Begriff Schwarz wird hierbei mit großem S geschrieben, der Begriff weiß wird klein und kursiv geschrieben. Diese Schreibweise soll darauf hinweisen, dass es sich um politische Begriffe und nicht um die Beschreibung von Hautfarben handelt.