Diversität ist möglich
Faszination Hillbrow
Die Düfte der Gewürze aus der Küche Nigerias steigen in meine Nase. Ein Straße weiter bereiten Äthiopier in kleinen Garküchen ihr Essen zu. Und wieder eine Ecke weiter werden Gerichte aus Simbabwe gekocht. Die Vielfalt der Düfte umgibt mich.
Hillbrow: 75.000 Menschen auf 1,08 Quadratkilometer
Gemischt mit Sprachen aus Äthiopien, Zentralafrika, Sambia und aus fast allen Ländern des südlichen und zentralen Afrikas. Durchdrungen vom unermüdlichen Hupen der Autos im quirligen Stadtteil Hillbrow. Von Ordnung keine Spur. Nur Chaos – für mich nach wie vor ein konstruktives Chaos, das viel Raum für Kreativität lässt. Das ist Hillbrow, der am dichtesten besiedelte Stadtteil Südafrikas: Johannesburg. 75.000 Menschen auf 1,08 Quadratkilometer. Nein, kein geordneter Stadtteil. Eher ein Großstadtdschungel, der seine Geheimnisse und seine Faszination in sich birgt. Sofern man bereit ist, diesen Stadtteil und seine Menschen zu lieben.
Es geht ums Überleben
Hillbrow lebt, vibriert, ist divers in jeder Hinsicht. Auf den ersten Eindruck mag man ins Schwärmen kommen über afrikanische Vielfältigkeit in der Großstadt. Doch sobald man tiefer in dieses Leben eindringt, wird einem bewusst, dass viele Menschen hier nicht freiwillig sind. Hillbrow war der erste Anlaufpunkt für die meisten Migrant*innen aus allen Ländern südlich der Sahara nach Ende der Apartheid. Sie erhofften sich ein besseres, ein freies Leben. Doch das gab es für sie nicht in Südafrika.
Und so geht es den meisten bis heute um das Überleben. In einer solchen Situation erwachsen Gewalt, Prostitution, Missbrauch, Obdachlosigkeit, Drogenhandel und Kriminalität in jeder Form. Auf staatliche Unterstützung kann hier niemand hoffen. Darum ist die Lutheran Community Outreach Foundation (LCOF) zu einer wichtigen Anlaufstelle für so viele geworden. Sie ist ein Ort der Hoffnung und der Zukunftsperspektive. Und ein Ort, an dem sich jede*r angstfrei aufhalten kann.
Die LCOF – Ein Ort der Hoffnung
Hier können sich überwiegend Männer ausbilden lassen zum Maurer oder Elektriker, um so auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben. Überwiegend Frauen lassen sich ausbilden im Schneiderhandwerk oder als Köchin. Auf dem Dach ist ein großer Garten entstanden, auf dem Gemüse angebaut wird, dessen Verkauf zum Lebensunterhalt beiträgt. Kinder und Jugendliche
erhalten qualifizierte Nachhilfe und haben im Jugendzentrum einen Ort, an dem sie einfach nur Kind sein dürfen. Wer will, kann professionell ein Musikinstrument spielen lernen oder an dem Schauspielunterricht teilnehmen – einige bekannte Schauspieler*innen Südafrikas haben ihre Grundausbildung in der LCOF erhalten. Wer Probleme verschiedenster Art hat, kann kostenfrei Beratung in Anspruch nehmen. Drogenabhängige erhalten eine professionelle Betreuung, bis für sie ein Platz in einer Entzugsklinik gefunden wurde.
Die LCOF – Abbild gelebter Diversität
Dabei ist die Outreach Foundation mehr als ein Ort der Hilfe. Sie will ihren Teil zu einer Stadtteilentwicklung beitragen, in der Platz ist für Verschiedenheit der Kulturen. Darum arbeiten in
ihr Menschen aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Dies ist gleichsam ein Sinnbild dafür, dass Verschiedenheit mit gleichzeitiger Würdigung und Anerkennung meines Gegenübers möglich ist. Sie will ein Abbild gelebter Diversität sein.
Das Missionswerk unterstützt die Foundation seit ihrem Beginn 1996 bis heute. Sechs Jahre lang durfte ich diese Arbeit leiten und koordinieren. Noch heute vermisse ich die Lautstärke, das Chaos, die Düfte und die ohrenbetäubende Musik dieses Stadtteils – das ist wohl auch der Grund, warum ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland Hörgeräte brauchte. Die nehme ich gerne in Kauf, denn eines hat mich Hillbrow gelehrt und tief geprägt: Diversität ist möglich und notwendig, um ein Leben mit seiner ganzen Vielfalt gestalten zu können.
Thomas Wojciechowski