Praktikum bei den Dalits
Die Unberührbaren
Nennen wir ihn Ashok. Ashok ist 25 Jahre alt und in einer Großstadt in Südindien aufgewachsen. Seine Familie sind Christen und Mitglied der Tamil Evangelical Lutheran Church. Früh bekam Ashok die Idee, Theologie zu studieren. Er selbst gehört zur Gruppe der Dalits. Sie werden Unberührbare, Kastenlose genannt. Dalits nennen sie sich selbst und das bedeutet gebrochen/zerbrochen, deren Gruppe keinen Platz im Kastensystem hat. Heute ist das hinduistische Kasten-System zu einem Gesellschaftssystem geworden und das, obwohl es 1950 offiziell abgeschafft wurde.
Müll und Kadaver für die Dalits
Die Diskriminierung von Dalits zeigt sich bei einigen noch immer im Lebensalltag: Müll und Kadaver werden ganz selbstverständlich von Dalits entsorgt oder sie dürfen in Dörfern keine öffentlichen Wasserquellen benutzen. Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Schule kommt immer wieder vor, ebenso wie die soziale und räumliche Ausgrenzung an öffentlichen Plätzen (z. B. Verweigerung des Zutritts zu Tempeln und Bädern, separate Essensplätze, separate Gläser in Teehäusern der Dörfer).
Ashok hat davon noch nicht viel mitbekommen. Er wächst in einer Community auf, wo Kaste kein großes Thema ist. Auch in einer großen Stadt ist die Kaste nicht so im Vordergrund. Er beginnt Theologie am Tamilnadu Theological Seminary (TTS) zu studieren.
Das Praktikum bei den Dalits
Im letzten Jahr des Studiums wird ein Praktikum in Nichtregierungsorganisationen und Institutionen durchgeführt. Besonders Ashok und seine Komiliton*innen, die bei Dalit-Organisation waren, haben reiche und herausfordernde Erfahrungen gemacht, insbesondere die Kämpfe der Dalits für eine gleichberechtigte Anerkennung.
Aufgearbeitet wird alles im Village-Dwelling-Programme (VDP). Das ELM fördert dieses Programm. Es wird am ländlichen theologischen Institut (RTI) in einem kleinen Dorf durchgeführt. Die Aufgabe der Studierenden ist es, mit den Menschen zu leben und von ihnen zu lernen. Auch heute leben Dalits auf dem Land am Rand oder außerhalb des Dorfes. Wenn die Studierenden aufs Land gehen, erfahren sie interaktive Begegnung mit der Dorfbevölkerung und deren Probleme, sowie die Identifikation mit ihrem Leiden. Sie lernen aber auch die Kultur und Kunst der Dalits kennen, z. B. das Spielen der Parai Trommel. „Parai“ bezeichnet ursprünglich eine indische Trommel, mit der die Dalits auf Begräbnissen der Angehörigen höherer Kasten spielten. Einst Zeichen der Unterdrückung, hat sich die Trommel in ein Symbol des Stolzes auf die eigene Kultur verwandelt und ist Symbol der politisch aktiven tamilischen Dalit-Bewegung geworden.
Sensibilisiert und befähigt in den Alltag
Ashok und seine Kommiliton*innen werden sensibilisiert im Umgang mit solchen Lebenswelten außerhalb der Kirche die Situation von Dalits auf dem Lande kennen zu lernen. Sie werden befähigt, den Dorfbewohnern das Bewusstsein zu vermitteln, für ihre Rechte einzustehen. Die Studierenden profitieren von diesen Begegnungen sowie von den Herausforderungen, denen sie sich gegenübersehen als junge Pastor*innen in solchen Situationen, nachdem sie die Hochschule verlassen haben.
Ashok fühlt sich befähigt, die Bibel in den speziellen Kontext zu übersetzen und Geschichten zu lehren, die Problemlösungen anbieten. Dieses Programm ist hilfreich für den Umgang mit seinen neuen Erfahrungen als Pastor in ländlichen Gebieten. Und Ashok hat gelernt über die Situation von Dalits, über Ungerechtigkeiten und über seine eigene Geschichte zu reflektieren. Und die Parai Trommel kann er auch spielen.
Ute Penzel
*Das Village-Dwelling-Programme des Tamilnadu Theological Seminary (TTS) bereitet angehende Pastor*innen auf die Herausforderungen ihres Berufs vor.