Frieden am seidenen Faden
Ich erinnere mich immer an eine Näherin im Westen des Bundesstaats Santa Catarina, wo ich in den 1980er Jahren meine Arbeit als Pastorin begonnen habe. Sie hatte 12 Kinder und nähte Kleidung für ihre ganze Familie. Um ein wenig Geld zu verdienen, nähte sie auch für Nachbarn, die alle sehr arm waren.
Die Menschen in diesem Ort kannten sich gut aber sie hatten unterschiedliche politische Meinungen; sie lebten im selben Ort, gehörten derselben Glaubensgemeinschaft an und ließen ihre Kleidung von derselben Schneiderin anfertigen. Sie erzählte mir, dass die meisten Menschen in diesem Dorf sich nicht verstanden. Die Näherin stritt mit niemandem. Sie hörte sich einfach die Geschichten an und sagte immer: „Gott kennt die Wahrheit.“
„Pastorin“, sagte sie, „alle Menschen waren sich sicher, dass sie selbst recht hatten und dass ihre Wahrheit die Wahrheit Gottes war.“
Eine Decke des Friedens
Es war Winter und die Frau hatte nicht viel Arbeit, so hatten wir mehr Zeit für Gespräche. Nach einem Imbiss zeigte sie mir, was sie mit kleinen Stoffresten gemacht hatte: Sie hatte eine Steppdecke für die Kinder der Gemeinde angefertigt. Sie war wunderschön, farbenfroh und aus vielen Stoffstücken in unterschiedlichen Größen gefertigt, die sie zu einem Ganzen verarbeitete.
Die Kunst dieser Näherin war es unterschiedliche Teile zusammenzufügen. Sie nähte eine Steppdecke aus kleinen Stoffstücken, die von Menschen stammten, die sich nicht verstanden. Was für ein Bild für Gemeinde. Die Näherin fügte die Stoffstücke in ihren verschiedenen Größen zu einer Decke zusammen. Und die Decke diente dazu, das Leben der Kinder zu wärmen. Sie sagte mir: „Das ist die Decke des FRIEDENS!“ Dabei bezog sie sich auf eine Bibelstunde, die wir in der Gemeinde nach den Wahlen durchgeführt hatten. Wahlen, die eine enorme Spaltung unter den Menschen der Gemeinde verursacht hatten. Wir dachten gemeinsam nach über den Frieden, den Christus uns für das gute Leben anbietet. Auf Grundlage von Johannes 14,27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“
Ein Bild für Gemeinde
Die aus verschiedenen Stoffstücken gefertigten Decken waren ein Anlass in der Gemeinde darüber zu sprechen, wie wir Einheit und Frieden erreichen können. Die Decke wärmte die Körper der Kinder. Die Kinder erkannten so, dass unterschiedliche Menschen zusammenleben und eine Glaubensgemeinschaft bilden konnten, in der jedes Mitglied seinen Platz hatte.
Ich bin sicher, dass die IECLB viele Näherinnen und Näher hat, die Frieden gestalten. Sie sind Zeuginnen von Gottes Wort, die inmitten von Hass und Polarisierung mit Worten und Taten der Solidarität handeln.
Ich glaube, dass Frieden ein Geschenk Christi für mein Leben, für dein Leben, für unser Leben ist. Frieden ist ein Geschenk, das wir empfangen und leben, das andere Menschen und die gesamte Schöpfung Gottes erreicht. In Frieden zu leben bedeutet nicht, mit den Fehlern einverstanden zu sein. Aber im Dialog aus dem Wort Gottes können wir die Veränderung suchen.
Sílvia Beatrice Genz, Kirchenpräsidentin der Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (Igreja Evangélica de Confissão Luterana no Brasil, Abkürzung: IECLB) (Übersetzung: Kurt Herrera)
Frau Genz ist Kirchenpräsidentin der Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) und wird nicht müde, ihre Kirchenmitglieder zum Dialog aufzurufen: „Das ist in Brasilien mit seiner derzeitigen politischen und religiösen Polarisierung, der Lockerung des Waffenbesitzes, des Hasses, der Gewalt und der Diskriminierung nicht einfach. An den Gemeinden der IECLB lässt sich ablesen, wie polarisiert die politische Situation in Brasilien durch die Worte und Taten Bolsonaros ist. Menschen aus ein und derselben Gemeinde greifen sich mit Worten der Anklage und des Hasses gegenseitig an. In dieser Situation sucht die Kirche nach Erfahrungen des Friedens und fragt sich, wie man in den Gemeinden mit dermaßen unterschiedlichen Gedanken und Meinungen zusammenleben kann.“