Mission und Kolonialismus: Schicksalsgemeinschaft „auf Gedeih oder auf Verderb“?

„Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besaßen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.“ (Desmond Tutu)

Es waren Missionare, die die Bibel nach Südafrika brachten. Aber nicht alle raubten im Gegenzug dafür Land, auch wenn es bei den Missionierenden auch um Landerwerb ging. Missionsstationen waren auf Landbesitz mit offiziellem Titel angewiesen. Mitarbeitende und Familien wollten versorgt werden. Nicht alle Missionare kollaborierten mit den Kolonisatoren. Einer, der sich vehement für die Landrechte der Besitzer einsetzte, war Heinrich Kallenberg (1821-1901), Mitarbeiter der Berliner Mission 1863-1881. Bei seinem Widerstand gegen die gewaltsame Landnahme der Europäer in Südafrika um 1880 fand er klare Worte: „[Die Buren] haben die Coranna schändlich bestohlen, die sie erst mitleidig aufgenommen und nun stellen sich dieselben mit ihrem Gute unter die Loyalität der Britischen Regierung…“. Dass Kallenberg sich mit dem Volk der Kora [Coranna] am Vaalfluss solidarisierte, führte schließlich zu so starken Dissonanzen mit der deutschen Missionsgesellschaft, dass er, nach jahrelangen Kämpfen um die Rechte der Kora, schließlich zermürbt, aus dem Missionsdienst 1882 entlassen wurde.

In seinem mit friedlichen Mitteln ausgefochtenen Eintreten für die Rechte der Kora verfuhr er so diplomatisch wie möglich, aber eben ohne sich korrumpieren zu lassen: Er stand zwischen den vierfachen Fronten der Kora, der Missionsgesellschaft, der Buren und den mit diesen konkurrierenden Engländer. Seine Missionsberichte bezeugen, wie er sich mit den Kora identifizierte, zu einem gemeinschaftlichen „Wir“ mit ihnen wurde, sich immer mehr ihre Sicht aneignete. Sein Einsatz galt allen Kora, auch denen außerhalb seiner Missionsgemeinde.
In jahrelangem Ringen schaffte er es immer wieder, das kolonisatorische Dornengestrüpp des Unrechts, unter dem die Land- und Lebensrechte der Kora und anderer südafrikanischer Ethnien erstickten, zu entflechten – bis er aufgeben musste: Burische Siedler erreichten bei der englischen Regierung die Vertreibung der Kora. Kallenberg weigerte sich, die Station aufzugeben und ließ wenigstens seinen jungen Assistenten bei „seinen Leuten“. Diese wurden durch ein militärisches Kommando, bei dem es zu Toten kam, vertrieben. Der neue Kollege wurde von Buren niedergeschlagen. Kallenberg und er wurden öffentlich der Rebellion bezichtigt. Als die Berliner Mission ihre Reputation als gefährdet ansah, wurde er von der Leitung erst zum Hilfsmissionar degradiert, dann aus dem Dienst entlassen. Das Gebiet um die Station, die er verlassen musste, hieß bei ihren Bewohnern weiterhin „Kallenbergs Grond“. Er gründete neben einer privaten Farm, die er nun aufbaute, auf Regierungsgrund eine unabhängige Missionsstation bzw. Gemeinde namens Morija. Alleinstehend und kinderlos blieb er bis zu seinem Tode im Land. Er vermachte der Berliner Mission zwei Drittel seines Nachlasses.
Am Leben dieses „aufrechten Missionars“ lässt sich wie unter einem Brennglas beobachten, zu welch schicksalhafter Gemeinschaft Mission, Kolonialismus und Indigene verschmelzen können. „Auf Gedeih oder auf Verderb“ wurde die Ursprungsbevölkerung Südafrikas so zu Gefangenen des rassistischen Unrechts, das sich historisch aus Verflechtungen von Mission und Kolonialismus erklärt. Durch alle Desaster hindurch drang zu ihnen aber auch die Botschaft, die Jesus Christus als wahren Befreier von Schuld, von unsichtbarem und von sichtbarem Unrecht proklamiert, in ihren Kirchen und außerhalb.

Prof. Dr. Moritz Fischer