Zivilcourage und ihre bitteren Konsequenzen
In der Kirchengemeinde in Südafrika, in der ich aufgewachsen bin, gab es drei Brüder mit dem Namen Fuls — einer war mit einer Cousine meines Vaters verheiratet. Schon früh hatte ich mitbekommen, dass es zwischen dem Großvater Fuls und der Mission heftige Differenzen gegeben haben muss. Diese waren allerdings sehr heftig und in heutiger Rückschau kein Ruhmesblatt in dem Geschichtsbuch der Hermannsburger Mission.
Von gottlosen Bauern und einem prügelnden General
Missionar Friedrich Fuls besuchte von 1862 bis 1866 das Missionsseminar (Pape Bd. 1). Er gründete die Missionsstation Leporro in der damaligen Republik Transvaal. Grund und Boden (eine große Farm) hatte er mit Geld aus einer Erbschaft persönlich erworben. Sein Nachbar war kein geringerer als der spätere, auch in Deutschland hochgeschätzte, Präsident Paul Krüger. Bereits wenige Jahre nach Dienstbeginn beschwerte sich Fuls, wie auch einige andere Missionare, schriftlich bei der Mission darüber, wie brutal die „gottlosen Bauern“ mit den Schwarzen umgingen. Mit Namen nennt er General Paul Krüger, der einen seiner Taufkandidaten so geschlagen habe, dass er nur noch kriechen konnte. Er wurde auf der Missionsstation wieder gesund gepflegt.
Zur Verstimmung zwischen der Transvaal-Regierung und der Mission kam es 15 Jahre später. Krüger war inzwischen Präsident. Im Juni 1884 berichtet Fuls im Missionsblatt, wie Schwarze von Buren verhöhnt, verprügelt und gequält wurden. Dabei erwähnt er ausdrücklich, dass Präsident Krüger vor Zeugen einen Mann mit Namen Renbaat halb totgeschlagen habe. Zwei Monate später wird Fuls deswegen durch zwei Herren beim Staatspräsidenten angezeigt — einer von ihnen ein Sohn eines ehemaligen Hermannsburger Missionskolonisten mit Namen Lange. In der Begründung heißt es, weil „unser Land und dessen Einwohner blamiert wurden durch solche Lästerungen“ (Hasselhorn, S. 66). Propst Penzhorn versuchte in persönlichen Verhandlungen die Angelegenheit außergerichtlich zu regeln.
„Um des Friedens und der Missionssache willen“
Präsident Krüger bestand auf einer Entschuldigung und Widerruf der Anschuldigungen durch Fuls, zumal er selbst bei dem Vorfall nicht persönlich Augenzeuge war. Aber Missionar Zimmermann, der Augenzeuge war, war bereit für Fuls auszusagen. Er befand sich jedoch zu dem Zeitpunkt in Pietermaritzburg. Propst Penzhorn wollte unbedingt eine Gerichtsverhandlung vermeiden, weil diese dem Ansehen der Mission im Transvaal geschadet hätte. Also schrieb er Zimmermann einen Brief, in dem er ihn drängte — um nicht zu sagen nötigte — seine früheren Schilderungen zurückzunehmen. Dieses tat er in einem Schreiben an Krüger, das in der Transvaal-Zeitung veröffentlicht wurde. Jetzt sah es schlecht aus für Fuls. Auf Drängen Penzhorns unterzeichnete er am 15. November 1884 den geforderten Widerruf „um des Friedens und der Missionssache Willen“.
Dann kam es zu einem weiteren Zwischenfall zwischen Penzhorn und Fuls und auf der nächsten Beiratssitzung der Mission in Südafrika wurde Fuls suspendiert. Der Widerruf von Fuls wurde im Missionsblatt (Februar 1885 abgedruckt), nicht jedoch seine Entlassung. Theodor Harms nutzte die Gelegenheit, seine aufrichtige Verehrung für Präsident Krüger zum Ausdruck zu bringen — als Christ und als Mensch. Erst auf dem Missionsfest 1886 wird kurz mitgeteilt, dass Fuls entlassen worden sei, „weil er sich nicht fügen wollte, trotz erfolgter Verwarnung“. Und bei Haccius ist nachzulesen, Fuls sei wegen „Beleidigung des Präsidenten Paul Krüger und Opposition gegen seinen Vorgesetzten Propst Penzhorn und gegen Theodor Harms“ entlassen worden. (Haccius, Bd. III).
Zivilcourage mit traumatischen Folgen
Fritz Hasselhorn zieht hieraus (in Bauernmission in Südafrika, S. 68) folgendes Fazit: „Im Ergebnis bewirkte die Entlassung eine Einschränkung des Meinungsspektrums im Missionarskreis. Für diese Art von Kritik gab es keinen Platz mehr in der Mission in Transvaal. Dagegen schien die Eingeborenenpolitik der Buren im Laufe der Jahre nun selbst bei ihren Kritikern eher positive Seiten zu gewinnen“. Ich möchte hinzufügen, dass diese Eingeborenenpolitik geradewegs zu der menschenunwürdigen Apartheidideologie späterer Jahre führte. Da fragt man sich schon: Was hat die Zivilcourage eines Fritz Fuls gebracht?
Noch ein kleiner Nachtrag: Kurz vor seinem Tod 1907 kam es zu einer Versöhnung mit Abendmahlsfeier zwischen Fuls und Vertretern der Mission (Pape Bd.1). Erstaunlicherweise hat Fuls nach seiner Entlassung auf eigene Rechnung weiterhin als Missionar gearbeitet und die Missionsstation Leporro zur Hermannsburger Mission zurückgeführt. Für die Familie Fuls muss die Entlassung ein Trauma gewesen sein. Obwohl in den deutschstämmigen Familien in Südafrika scheinbar jeder mit jedem verwandt ist, hat es meines Wissens niemals eine Eheschließung zwischen Fuls und Penzhorn gegeben.
Verletzungen bis heute
Etwa 1993 erhielt ich in meinem Büro in Hermannsburg unerwarteten Besuch aus Kroondal von einem Ehepaar. Die Ehefrau war eine geborene Fuls. Als wir über ihren Urgroßvater redeten und ich sagte, dass ich den Mut — die Zivilcourage — ihres Urgroßvaters bewundere, begann sie zu weinen und sie sagte sinngemäß:
„Das tut so gut! Ich werde das weitersagen. Wir waren doch immer 2. Klasse!“ Und das sagte sie 100 Jahre nach jenen Ereignissen!
Noch eine kleine Ironie der Geschichte: Ein Ururenkel, Heinrich Fuls, wurde südafrikanischer Nationalspieler in dem Burensport schlechthin — im Rugby!
Dieter Schütte (†)
„‚Zivilcourage in der Mission‘ ist eingebettet in einer langen, gesegneten Geschichte von Zivilcourage, die allerdings nicht einfach nur glorreich ist, sondern immer auf dunkle Seiten in der Gesellschaft, in der Kirche, in der Mission, hinweist. Wäre alles in Ordnung, bedürfte es keiner Zivilcourage!“
Das sagte Dieter Schütte, der verstorbene ehemalige ELM-Referent für das südliche Afrika, in einem Vortrag auf der Farvener Ludwig-Harms-Konferenz 2010 zum Thema „Zivilcourage in der Mission“. Er war selbst als weißer Südafrikaner in das System der Apartheid hineingeboren und in dessen Geist aufgewachsen. Später hatte er als Pastor und Theologe das Prinzip der Rassentrennung entschieden abgelehnt und dagegen Stellung bezogen — auch gegen Widerstände seines sozialen und kirchlichen Umfeldes in Südafrika.
Die Geschichte des Hermannsburger Missionars Friedrich Fuls, hat Dieter Schütte im Rahmen seines Vortrags beispielhaft erzählt. Wir veröffentlichen sie hier in redaktionell überarbeiteter, aber inhaltlich unveränderter Fassung.