Vom unwiderstehlichen Reiz der Klischees

„Die Farbenpracht ihres Kopfschmucks ist beeindruckend, ihre Namen für europäische Zungen schwer auszusprechen und ihr Habitus so ganz anders als der unsrige: Stolz und mit großer Ernsthaftigkeit repräsentieren sie ihr Volk, das um sein Überleben kämpft. Wir schreiben das Jahr 2014 – eine Delegation Indigener aus Brasilien besucht auf einer Europareise auch Hermannsburg und wirbt für ihr Anliegen: Sie sucht Unterstützer*innen für ihren Kampf gegen politische Bestrebungen, ihren Lebensraum immer weiter einzuschränken.“

Von Attributen fasziniert

Merken Sie was? Fasziniert von der Erscheinungsweise der Menschen aus einem anderen Land, mit einer anderen Kultur, startet der Autor mit dem, was ihm zuallererst ins Auge sticht. Es sind bestimmte Attribute, die er der Gruppe Indigener zuschreibt, vielleicht, weil er bildhaft den Leser*innen die Begegnung schildern, sie mit hineinnehmen möchte in die Situation, sie neugierig machen möchte auf das Anliegen, das die Indigenen bewogen hat, Unterstützer*innen im Ausland finden zu wollen. Aber hätte er nicht eigentlich mit eben diesem Anliegen beginnen sollen?

Öffentlichkeitsarbeit in einem internationalen, interkulturellen Umfeld wie dem eines Missionswerkes ist oft eine Gratwanderung und ein steter Prozess selbstkritischen Hinterfragens, was wie gesagt geschrieben und illustriert werden darf, um nicht in die Falle wohlfeiler Stereotypien zu tappen. Denn schneller als einem lieb sein kann, transportiert man in seiner täglichen Arbeit Klischees von Menschengruppen, die per se keinem Vorbehalt entspringen müssen, sondern oft wohlmeinend daherkommen oder unbewusst sind. Das Eine wie das Andere zeichnet dabei aber meist kein realistisches Bild von der Realität, sondern verharrt an der Oberfläche.

Und dann sind da immer wieder Schlüsselreize, denen man schnell erliegt, wenn eine besonders attraktive, spannende, anrührende Publikation entstehen soll – ob gedruckt oder digital: Hautfarbe, Attraktivität, Dramatik der Situation, Geschlecht, Kindchenschema, Exotik u.v.m. Mit einem folkloristischen oder gar voyeuristischen Blick auf Menschen aus anderen Kulturkreisen zu blicken, passiert schnell. Selbst für einen Medienprofi ist die Gefahr, Menschen in der Art ihrer Darstellung zu instrumentalisieren, und sei es für eine noch so gute Sache, immer präsent.

Verstärkt auf die Bildsprache  achten

Das ist der Grund, warum das ELM sich für seine Öffentlichkeitsarbeit Regeln auferlegt hat, die verhindern sollen, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Kultur, Religion, Geschlecht oder Lebensalter in Text und Bild herabgewürdigt, diskriminiert, verfälscht, manipulativ oder gar sexistisch und rassistisch dargestellt werden. So achten wir in der Kommunikation z. B. verstärkt auf eine bestimmte Bildsprache, die eben das vermeiden soll. Dass das nicht immer leicht ist, zeigt sich schnell in der Alltagspraxis. Zeitmangel und begrenzt zur Verfügung stehendes Bildmaterial verführen dazu, auch mal nicht so genau hinzuschauen und Fünfe grade sein zu lassen.

Von was sich der Autor hat leiten lassen, als er den Artikel über die Indigenen aus Brasilien schrieb, scheint klar. Aber die Information, dass der Kopfschmuck keine Folklore ist, sondern zeigt, dass sie offizielle Repräsentanten ihrer indigenen Bevölkerungsgruppe sind, hätte den Text vielleicht von seiner oberflächlichen Exotik befreit. Dessen war sich der Autor nicht bewusst. Und der Autor war ich.

Dirk Freudenthal