Was hat Gerechtigkeit mit Frieden zu tun?

Zuerst sollte man sich wohl fragen, was ist eigentlich Gerechtigkeit? Wenn alle gleichbehandelt werden oder wenn alle gleichbehandeln? Und warum gibt es Ungerechtigkeit?

Immer wenn wir als Kinder eine Tüte Gummibärchen geschenkt bekamen, dann mussten alle Bärchen abgezählt werden, so dass auch wirklich keiner mehr hatte als der andere. Ich fand das immer gut so und gerecht. Aber später änderte sich unsere Aufteilung. Es wurde nicht mehr nach Zahl aufgeteilt, sondern nach Farben und so war z. B. für uns alle ein gelbes Gummibärchen mehr wert als ein grünes. Wurden die Gummibärchen verteilt und meine Schwester bekam z. B. die meisten gelben und mein Bruder die meisten grünen (die mochten wir nicht!), so fing der Streit an: „Das ist ungerecht“, hieß es. „Aber wo liegt denn da die Ungerechtigkeit?“, fragte meine Mutter dann. Wir riefen alle durcheinander und versuchten zu erklären, dass die grünen Bärchen doof seien und für meine Schwester die roten am besten, aber für mich die gelben usw. Je mehr verschiedene Meinungen es gab, desto schwieriger war es für unsere Mutter einen Kompromiss zu finden.

Aber was ist dabei Gerechtigkeit?

Wer entscheidet, was gerecht ist und was nicht? Könnte es da nicht auch wieder zu Streit kommen, wenn der Eine sagt, dass die Gummibärchen nicht nur sortiert werden sollen, sondern dass der Größte auch am meisten bekommen soll. Jeder hat eine andere Auffassung von Gerechtigkeit, und für den Einen mag die Gerechtigkeit des Anderen ungerecht sein. Bei den Gummibärchen konnten das dann unsere Eltern entscheiden – jeder, egal wie alt er/sie war, bekam gleich viele Bärchen und die Farben wurden dem Zufall überlassen. Aber wer übernimmt diese Rolle, wenn es um größere Fragen geht – müssen alle Menschen in Deutschland geimpft sein oder darf ein Staat sich in einen Krieg einmischen? Und ist es überhaupt gerecht, wenn es immer jemanden gibt, der das letzte Wort hat? Bei uns in Deutschland sind das wohl die Regierung, die von der wahlberechtigten Bevölkerung gewählt wird, oder die Gerichte, die im Rahmen der vorgegebenen und demokratisch legitimierten Gesetze handeln.

Gerechtigkeit kann also für jeden etwas anderes sein, da jeder andere Werte und Normen vertritt. Einige Beispiele: Sei es, dass sie ihren Ursprung in der Erziehung oder der eigenen Erfahrung haben. Oder es bilden sich unterschiedliche Meinungen heraus. Manchmal vertreten mehrere Leute die gleiche Meinung und bilden eine Gruppe. Trotzdem gibt es allein über die Lieblingssorte bei Gummibärchen sicherlich mindestens so viele verschiedene Meinungen, wie es Gummibärchensorten gibt.

Und was ist mit dem Frieden?

Wenn ich von einem Zustand ausgehe, den ich mit Frieden bezeichne, dann herrscht dort auch Gerechtigkeit. Denn wenn jede*r seine/ihre eigene Gerechtigkeit ausleben kann, dann gibt es auch keinen Grund für Missfallen/Unzufriedenheit im Zusammenhang mit Gerechtigkeit und somit keinen Grund für Feindschaft: Es gäbe Frieden, jeder würde seine eigene Gerechtigkeit leben können, weil sie auch die mögliche Gerechtigkeit des Anderen impliziert.

Jenseits dieses Gedankenexperimentes ist es in unserer Wirklichkeit viel schwerer. Denn jede*r kann ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit haben, welche sich nicht unbedingt für die Gerechtigkeit des Gegenübers öffnet. Jede/r hat einfach andere Erfahrungen und somit andere Werte und Normen. So wie ich es kennengelernt habe, wird Gerechtigkeit oft mit der „Mitte“ bzw. mit „Gleichheit“ gleichgesetzt. Das scheint das Beste zu sein, was uns bisher eingefallen ist.

Wie kann man das auflösen? Hätten alle die Erfahrungen und Geschichte der Anderen reflektiert und rational darüber nachgedacht, hätten dann plötzlich auch alle die gleichen Werte und Normen, und verträten die gleiche Ethik? Nein, denn dann wären wir keine Menschen mehr. Trotzdem macht uns diese Fülle und Diversität manchmal einen Strich durch unsere Gerechtigkeit.

Aber ist es nicht gerade das, was uns ausmacht, dass wir verschieden sind, dass es uns jeweils nur genau einmal gibt? Außerdem, welche Mittel bräuchte es, Diversität abzuschaffen? Es würde wieder zu Gewalt kommen – Unfrieden. Es geht vielmehr darum, dass die Individuen lernen, mit Diversität und somit auch mit den verschiedenen Meinungen und Vorstellungen von Gerechtigkeit umzugehen und sie zu berücksichtigen:

Frieden ist das Miteinander ohne Gewalt, mit Kommunikation.
Weniger Vorurteile, mit Zuhören.
Respekt und Transparenz.
Frieden mit sich selber, Frieden mit dem Nachbarn.
Mit Kompromissen.
Es kann friedlicher werden. Es kann gerechter werden.

Esther Oriana Laaser