Zwischen Ausbeutung und Heilversprechen

Als Mission und Kolonialismus Hand in Hand gingen

Als das Mittelalter zu Ende ging, wollten viele europäische Herrscher ihre Macht und ihren Reichtum vergrößern. Sie schickten im 15. Jahrhundert Schiffe auf den Weg ins Unbekannte, zum Beispiel nach „Indien“ oder um die Welt zu umsegeln. Die Gebiete, die die Entdecker fanden, lagen in Afrika, Asien und der „Neuen Welt“ (Amerika). Sie wurden unter den Europäern aufgeteilt, und diese Aufteilung wurde vom Papst persönlich bestätigt. Damals waren weltliche und kirchliche Macht nicht so streng getrennt wie heute. Deshalb ist es auch schwierig zu sagen, ob die Kirchen oder die Missionen mit Schuld daran hatten, was in den neu entdeckten und eroberten Gebieten mit den Menschen geschah: Die Entdecker zwangen die Menschen, für sich zu arbeiten. Das war sehr hart und viele starben daran, genauso wie an den Krankheiten, die die Europäer mitgebracht hatten. Die Eroberer (oder Kolonialisten) wollten zum Beispiel Gold und Silber nach Hause schicken oder durch den Verkauf von Zucker reich werden, der in Europa selten und kostbar war. Dafür mussten in Amerika aber viele Menschen leiden.

Verlust des alten Lebens und ein neuer Glaube

Die Missionare waren am Anfang vor allem Katholiken, zum Beispiel Dominikaner- oder Jesuitenmönche. Sie waren nicht damit einverstanden, dass die Kolonialisten die Einheimischen so schlecht behandelten, deshalb schrieben sie Briefe an die Könige in Spanien, um von den schlimmen Zuständen zu berichten. Die Könige erkannten das Leid und ließen die Mönche sich um die Einheimischen kümmern. Für einige Jahrhunderte lebten viele „Indianer“ im spanisch kolonisierten Amerika nun in Schutzgebieten („Reduktionen“), wo sie vor Zwangsarbeit und Sklavenhändlern sicher waren. (Stattdessen wurden nun Sklav:innen aus Afrika nach Amerika und in die Karibik verkauft, um auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten.) Die katholischen Mönche sorgten dafür, dass die „Indianer:innen“ nicht mehr nomadisch umherzogen, sondern an einem Ort lebten, und dass sie zu Christ:innen wurden und lernten, was „Zivilisation“ bedeutet. Dafür mussten die Einheimischen ihr normales Leben aber völlig aufgeben. Sie mussten wie Soldaten ihr Schutzgebiet bewachen, mussten für die Mönche arbeiten und auf europäische Weise Häuser bauen, Möbel herstellen, zur Kirche gehen und Kleidung tragen. Dadurch ging vieles, was in ihrem Leben vorher Bedeutung hatte, verloren.

Manche Forscher sagen aber, dass die Einheimischen überhaupt nur überleben konnten, weil die Missionare ihnen geholfen haben. Und das Gute war, dass sie all die Jahre ihre eigenen Ideen einbringen konnten. Die Kunst und die Musik der Menschen in den Schutzgebieten konnten deshalb weiterleben und sich entwickeln, weil sie sie benutzten, um ihr Leben schöner zu machen und um ihren neuen Glauben auszudrücken. Dadurch hat sich dann auch das Christentum in Südamerika verändert, weil die Menschen es sich „zu eigen“ gemacht haben. Viele der katholischen Heiligen, die dort bis heute verehrt werden, sehen zum Beispiel ganz anders aus, als die europäischen Heiligen, und haben auch andere „Fähigkeiten“ oder Eigenschaften. Die Menschen haben über die Jahrhunderte den katholischen Glauben an ihr eigenes Umfeld angepasst.

In Afrika hatten die frühen Missionierungsversuche nicht viel Erfolg. Zwar gab es auf den Handelsschiffen seit dem 16. Jahrhundert immer wieder Mönche und Priester, die einen dortigen Herrscher zum Christen machten, aber es gab keinen Europäer, der dort lange genug blieb, um langlebige Gemeinden aufzubauen. Auch traute anscheinend keiner den Afrikaner:innen zu, selber Priester oder Gemeindeleiter:in zu sein. Anfang des 19. Jahrhunderts änderte sich die Lage. In Europa und Nordamerika gab es immer mehr Menschen, die die Sklaverei abschaffen wollten, und die sahen, dass die Afrikaner:innen auch Gottes Kinder sind und von Gott erfahren müssten, um gerettet zu werden. Es gab sehr viele verschiedene Kirchen, die dieses Anliegen hatten: natürlich wie zuvor die Katholiken, aber auch z. B. Baptisten, Methodisten, Lutheraner und Pfingstler.

Gleichzeitig mit den Missionen gingen auch immer mehr Kolonisten ins Innere des Kontinents, manche, um dort Vieh zu züchten und andere, um Elfenbein, Kautschuk oder Kakao zu finden und für viel Geld nach Europa zu bringen. Es gab sogar große Gebiete, die gar nicht von einem Staat verwaltet wurden, sondern nur zu einer europäischen Firma gehörten. Manche Missionare fanden es gut und in Ordnung, dass die Kolonisten die Afrikaner:innen zwangen, für sich zu arbeiten, und das Land ausbeuteten. Andere Missionare aber waren dagegen und schrieben Briefe an die Zeitungen oder die Regierung, um darauf aufmerksam zu machen, was schieflief. Die meisten Missionar:innen versuchten aber, sich nicht in die Politik einzumischen und lebten einfach auf ihren Stationen, um den Afrikaner:innen zu zeigen, wie ein gutes christliches Leben aussieht.

Auf dem Weg zur Kirche der Einheimischen

Auf den Missionsstationen gab es meistens eine Schule, ein Krankenhaus und eine Kirche. Die Kinder aus der Umgebung konnten in der Schule lesen, schreiben und rechnen lernen, und natürlich auch alles über Gott und den christlichen Glauben. Zu Hause haben sie dann davon erzählt und viele Leute davon überzeugt, dass ein christliches Leben besser sei. Die Missionen haben aber dafür gesorgt, dass viele Einheimischen dachten, dass ihre eigenen Vorstellungen schlecht seien, und dass das Leben, wie es vorher bei ihnen war, Gott nicht gefalle. Deswegen wollten viele Afrikaner:innen so schnell wie möglich vergessen, was früher bei ihnen richtig und wichtig war, und waren dann ganz verunsichert, wie sie jetzt leben sollten. Sie trugen europäische Kleidung, wohnten in europäischen Häusern, gingen zur Kirche, sprachen Englisch oder Französisch, aßen andere Sachen als vorher und lernten Berufe, die es vorher bei ihnen nicht gab. Die Kolonisten machten sich trotzdem über sie lustig, oder behandelten sie wie Kinder, die keine Ahnung haben.

Da fingen die Afrikaner:innen an zu überlegen, wie sie jetzt wirklich leben wollten. Dass sie nicht wieder so leben könnten wie ihre Großeltern früher, war ihnen klar. Und dass sie nie so werden würden, wie die Weißen es wollten, hatten sie auch schon gemerkt. Deshalb gründeten manche ihre eigenen Kirchen. Die waren zwar so ähnlich wie die von den europäischen Missionen, aber hatten andere Regeln: In manchen durfte z. B. ein Mann mehrere Frauen heiraten oder Trommelmusik und Prophezeiungen waren erlaubt. Und vor allem durften Afrikaner die Priester und Pfarrer sein, und wurden nicht von den Weißen kontrolliert. Andere gründeten keine Kirche, sondern eine eigene Zeitung. Da konnte jede(r) schreiben, was ihm oder ihr wichtig war, und viele Menschen lasen es und schrieben Leserbriefe zurück. Dadurch merkten die Afrikaner:innen, dass sie in ihren Koloniegebieten nicht alleine waren mit den Problemen, die durch das Beherrschtwerden kamen. Sie machten sich gegenseitig Mut und diskutierten, wie man ihr Land besser regieren könnte.

Zwiespältige christliche Mission

Um die Frage zu beantworten, wie Mission und Kolonisierung zueinander standen, muss man einerseits sagen, dass viele Missionsgesellschaften mit dem Kolonialismus einverstanden waren und die Macht der Europäer in den anderen Erdteilen genossen und geteilt haben. Ihre Länder sind durch den Handel mit Edelmetall, Zucker, Sklaven, Kakao, Kautschuk oder anderen „Kolonialwaren“ reich geworden, während die Orte, von denen diese kamen, nur Verluste erlitten. Bis heute sind diese Ungerechtigkeiten nicht behoben. Die europäischen Missionen fanden, genau wie die Kolonisten, dass ihre Medizin, ihre Kultur, ihr Glaube und ihre Bildung mehr wert seien als die in Amerika oder Afrika vorhandene Kultur, die dort angewendete Medizin und die dortigen Glaubensvorstellungen. Sie wollten die Menschen in den anderen Erdteilen „umerziehen“ und behandelten sie nicht gleichwertig. Auch diese Einstellung hinterlässt bis heute tiefe Spuren im Miteinander.

Andererseits kann man auch feststellen, dass die missionierten Einheimischen früh angefangen haben, eigene Wege zu gehen. Dass, was sie bei den Missionen gelernt haben, half ihnen im kolonialen Umfeld, sich zu behaupten – weil sie den Glauben auf ihre eigene Weise leben wollten und deshalb Dinge veränderten (auch wenn die Missionare damit nicht unbedingt einverstanden waren). Und weil, wer lesen und schreiben kann, sich besser gegen Ungerechtigkeiten wehren kann.

Rahel Kühne-Thies